Freitag, 28. September 2012

Produktionsnotizen

27.9.2012

Eine der grossen Fragen des Schauspiels, hat mit dem Thema der Maske zu tun.
Wer ist man, wenn man jemand anderer ist? Wie ist man diesen Anderen, ohne dabei aufzufallen,
ohne dabei entlarvt zu werden. Wie verwandelt man sich? Wie erkennt man, dass man sich verwandelt hat. Eine Frage, die uns auf den Proben oft genug begegnet. Wer ist unsere Figur Sabiha, wenn sie nicht sich selber ist. Wieviele Facetten hat sie? Was heisst es eine gefestigte Identität zu haben?
Kann man nur eine Identität haben?
Der/Die Schauspieler/in trägt die Maske freiwillig. Er/Sie tritt mit ihr auf und kann sie nach der Arbeit wieder ablegen. Aber wie fühlt sich jemand, dessen Identität keine so klaren Grenzen hat? Wie sieht jemand
sich selbst, wenn er sich fremd vorkommt? Wenn er sucht, wenn er für seine Suche keine klaren Bilder hat? Wenn diese Bilder im Staube schlummern? Unsere Protagonistin macht eine grosse Reise. Wo sie am Ende ankommt, wissen wir noch nicht und was sie letzen Endes dort entdecken wird noch weniger. Während wir aber an unserer Aufführung proben, merken wir, wie stark unsere Figur ist. Wie stolz, wie grundsätzlich sie sich selber hinterfragt. Sie wagt, was alle grossen Helden und Heldinnen unserer Zeit tun. Sie widerspricht dem Status Quo. Indem sie für sich selber eintritt, befreit sie sich von ihrer Maske. Indem sie ihre Maske ablegt, schafft sie Raum für etwas Neues. Sie lernt dabei das Leben kennen, das sie führt, geführt hat und das sie führen wird. Das tut sie für sich selbst. Indem sie sich öffnet, macht sie sich verwundbar. Ihre Wunden machen sie zum Menschen und als Mensch (und nur als Mensch im Gegensatz zum Helden oder Märtyrer) ist ihre Schwäche, ihr Gesicht, das Unstete an ihr bewundernswert.



Mittwoch, 26. September 2012


26.9.2012

Notizen aus der Produktion

Das Gegengewicht zum Schweigen ist das Sprechen.
In unserem Monolog ist der Wandel unserer Protagonistin Sabiha, ihr Konflikt, ihr Potential, alles an die Sprache gebunden. Die Sprache und das Sprechen, sind Ausdruck ihrer Freiheit, ihrer Fähigkeit zu denken, zu fühlen, zu lieben, zu verzeihen, zu verstehen. Nicht dass sie sprachlos wäre, Sabiha ist kein Kaspar Hauser. Aber innerlich hat sie, durch das Schweigen ihrer Mutter, durch die verschleppte Vergangenheit, durch die fehlende Aufarbeitung ihre Geschichte, in das Opfer wie Täter eingebunden sind, doch so etwas erlebt, wie Kaspar Hauser. Sie ist, wie viele Nachfolgegenerationen mit unbewältigten Gewalterfahrungen, in einem Trauma gefangen. Ganz egal ob Opfer oder Täter. Diese Ereignisse hinterlegen ihre Spuren. Unbewusst, ohne Sprache, sie verändern unverarbeitet unsere Art der Wahrnehmung, des Handelns, des Fühlens. Und je länger diese schmerzvollen Erfahrungen andauern, umso tiefer dringen sie in unser Unterbewusstsein vor und prägen uns.
Soviel zu unseren Grundlagen. Sabiha lernt in dieser Arbeit ihre Sprache kennen. Sie lernt von einem Satz zum Anderen. So kriegt sie ein Bewusstsein. Daran arbeiten wir. Die Sprache von Sabiha, die zunächst zu einem Extrem neigt, öffnet sich. Wir zeigen wie sich öffnet und dass es möglich ist, sich zu öffnen. Ohne Vorbedingung, ohne grundsätzliche Hilfsmittel. Die Öffnung heisst aber nicht, dass sie ein Happy-End findet. Wozu auch? Aber es bedeutet, dass Sabiha in ihrem Leben angekommen ist. Dass sie dort weitermachen kann, wo sie die Geschichte 1916 unterbrochen hat. Wo sie ankommt, ist ihre Sache. Heiner Müller sagt dazu: "Es gibt kein richtiges Leben im Falschen". Sabiha wird daher in unserer Arbeit, durch das Entdecken, das Einsehen und Aussprechen ihrer Geschichte, ein zweites Mal geboren. Sie taucht ein zweites Mal in der Geschichte auf.



25.9.2012

Notizen aus der Produktion

Einer der wichtigsten Begriffe dieser Produktion und daher auch der zentrale Ausgangspunkt unserer
Auseinandersetzung mit dem Stück, ist das Schweigen.
Wir haben uns gefragt wann man schweigt. Wie dieses Schweigen aussieht und was es mit einem selber macht.
Jede/r kennt dieses Gefühl. Wenn man etwas nicht sagt, wenn man es verschweigt, wenn man etwas weiss und schweigt. Wenn man sich auf die Zunge beisst und innerlich fast ein Lügner wird.
Man weiss zu viel und sagt zu wenig. Ein Wettlauf gegen das eigene Gewissen beginnt.
Verdrängen, beschuldigen, ablenken, ausweichen lauter kleine und grosse Manöver fängt man an.
Aus der Mücke wird ein Elefant. Am Ende lebt man in einem Konstrukt von Widersprüchen und
kommt nicht mehr aus diesem heraus. Das Schweigen bleibt. Es hinterlässt Tag für Tag Spuren.
In der Art wie wir uns anschauen, wie wir andere sehen, wie wir sprechen, uns bewegen. Das Schweigen wird zum ständigen Begleiter, zu einem zweiten Ich. Jeder Atemzug wird schwer. Sehr schwer. Und am Ende ist der Tod eine Erlösung. Eine weitere Flucht vor sich selber, vor dem, was man im Innersten, im Herzen schon die ganze Zeit gewusst hat. Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar sagt Ingeborg Bachmann. Heute und die Tage zuvor waren wir auf der Bühne sehr damit beschäftigt, diesem stillen Raum einen Körper zu geben. Die Schauspielerin Bea Ehlers-Kerbekian versucht nebst ihrer Aufgabe ihre Geschichte zu erzählen, auch immer das zu erzählen, was
nicht in Worten da steht. Sie gibt in vielen kleinen und grossen Momenten jener unheimlichen Stille eine Gegenwart, die ganze Generationen an sich gefesselt hat. Darauf liegt unser Augenmerk. Zum einen die Worte, zum anderen das Schweigen zu finden. Das Eine wollen wir nicht lauter als das Andere machen. Damit zwischen den Gegensätzen eine Auseinandersetzung möglich wird.